30.11.2024

Die Instanbul-Konvention und ihre Umsetzung

Trotz Istanbul-Konvention bleibt Gewalt gegen Frauen ein ungelöstes Problem Das Ziel: mit Männern für eine gewaltfreie Zukunft kämpfen

Soroptimist International Switzerland richtete vergangene Woche für die 200 mehrheitlich weiblichen Teilnehmenden einen spannenden Anlass im Paul-Klee-Zentrum in Bern zum Stand der Umsetzung der Istanbul-Konvention aus. Vorträge und Podiumsdiskussion waren hochkarätig besetzt. Alt Bundesrätin Simonetta Sommaruga, die das Thema «Gewalt gegen Frauen» während ihrer Amtszeit auf die politische Agenda gesetzt hatte, richtete unter anderem einen Appell an die Männer. Moderiert wurde der Anlass von Journalistin Claudia Hiestand.

Von Bettina Baumanns

Mit der Unterzeichnung und Ratifizierung der Istanbul Konvention von 2011 hat sich die Schweiz 2017 verpflichtet, gegen Gewalt gegen Frauen und häusliche Gewalt vorzugehen. Soroptimist International Switzerland (SI CH) hatte am Samstag, 30. November, gemeinsam mit dem Fachverband Gewaltberatung Schweiz (FVGS) und der Dachorganisation Frauenhäuser Schweiz und Liechtenstein (DAO) in Bern den Anlass «Gemeinsam gegen Gewalt» organisiert. SI CH Präsidentin Catherine Schuppli erklärte in ihrer Begrüssung: «Gleichberechtigung ist erst dann erreicht, wenn Frauen und Mädchen nicht zu Objekten der Bedürfnisbefriedigung gemacht und ihre Grenzen respektiert werden. Gleichberechtigung ist erst erreicht, wenn Männer ihr Verhalten unter Kontrolle haben.»

Gewalt hat viele Gesichter

Renata Trottmann Probst, gewählte Welt-Präsidentin der Soroptimist ab 2026, rief in ihrem Vortrag in Erinnerung, dass Frauen weltweit diverse Formen von Gewalt erleben: psychische Gewalt, physische Gewalt, sexualisierte Gewalt einschliesslich Vergewaltigung, Belästigung am Arbeitsplatz, in der Öffentlichkeit oder in den sozialen Medien, Stalking, Rache-Pornografie, Zwangsprostitution, Genitalverstümmelung und Zwangsheirat. Trottmann informierte auch über die Geschichte der Kampagne «Orange Days – 16 Tage gegen Gewalt an Frauen», die 1991 vom Women’s Global Leadership Institute ins Leben gerufen worden war. Die Aktion läuft jedes Jahr vom 25. November bis zum 10. Dezember.

Rechtslage: Fortschritte nur durch Umsetzung

Rechtsanwältin Evin Durmaz hob in ihrem Vortrag die juristische Bedeutung der Istanbul-Konvention hervor, die aber erst durch die Umsetzung der Länder zu neuen Rechten für die Betroffenen führt. So lautet ein weiteres Ziel der Istanbul-Konvention, dass Gewaltstraftaten verfolgt und Gewalt ausübende Personen zur Verantwortung gezogen werden. National wird die Istanbul-Konvention, die Teil der «Gleichstellungsstrategie 2030» des Bundes ist, mithilfe eines Aktionsprogramms umgesetzt. Eine Überprüfung der insgesamt 44 Massnahmen ergab die Notwendigkeit, die Arbeit auf nationaler Ebene noch zu intensivieren, statt die Verantwortung für den Prozess den Kantonen zu überlassen.

Vielsagende Zahlen

Die aktuellen Zahlen zu Gewalt gegen Frauen lieferten Isabelle Fisher, Generalsekretärin des FVGS, und Lena John, Co-Geschäftsleiterin von DAO. Fast 20’000 Delikte von häuslicher Gewalt wurden 2023 in der Schweiz angezeigt, dem gegenüber stehen fast 50’000 Beratungen für Opfer und nur 3600 für gewaltausübende Personen. Die 23 Schweizer Frauenhäuser verfügen über 436 Betten. Es sind zu wenige Betten und die Finanzierung der Frauenhäuser ist immer noch nicht nachhaltig aufgegleist. Die Hälfte der Frauenhaus-Bewohnerinnen sind Kinder, die meisten von ihnen sind zwischen 0 und 6 Jahre alt. Psychische Gewalt hat fast jede Frau erlebt, aber fast drei Viertel von ihnen auch physische Gewalt und mehr als ein Viertel sexualisierte Gewalt. Diese Zahlen gelten nur wenig abgeschwächt auch für die Kinder.

Engagement für Frauenrechte

Simonetta Sommaruga, die 2017 als Bundesrätin eine massgebliche Rolle bei der Ratifizierung der Istanbul-Konvention in der Schweiz gespielt hatte, betonte die zentrale Bedeutung von Frauenrechten und der Gleichstellung der Geschlechter für eine gerechte Gesellschaft. Sie appellierte an die Anwesenden, im Kampf gegen Gewalt gegen Frauen standhaft zu bleiben. Dies sei im Sinne der gesamten Gesellschaft, denn Prävention koste deutlich weniger als die langfristigen Folgen von Gewalt. Sie rief in Erinnerung, dass Gewalt an Frauen kein Frauenthema sei, sondern auch Männer betreffe. «Es müsste die Männer eigentlich stören, dass so viel Gewalt von ihrem Geschlecht ausgeht», stellte sie fest und nahm die Männer in die Pflicht, sich entschlossen gegen Gewalt einzusetzen.

Wege zu einer gewaltfreien Zukunft

Das Podiumsgespräch zeigte auf, dass für eine gewaltfreie und gleichberechtigte Zukunft noch einiges zu tun ist. Isabel Käshammer, Psychologin und Leiterin der Opferberatung Zug, Martine Lachat Clerc, Direktorin des Frauenhauses Freiburg, der Opferhilfe- und Beratungsstelle LAVI und Vorstandsmitglied im Dachverband DAO, diskutierten mit Claudia Christen-Schneider, Kriminologin und Präsidentin des Forums für Restaurative Justiz Schweiz, sowie Christoph Gosteli, Gewalt- und Männerberater im Mannebüro Züri und Präsident des FVGS, über die aktuelle Situation. Die Rednerinnen und Redner fanden klare Worte und erhielten dafür immer wieder spontanen Szenenapplaus.

Prävention als Schlüssel für gesellschaftlichen Wandel

Nebst der Unterstützung von gewaltbetroffenen Frauen braucht es auch Gelder, um den Wandel in der Gesellschaft anzustossen. Am effektivsten gelingt dies über Präventionsarbeit mit Jugendlichen. Der Fachverband Gewaltberatung Schweiz (FVGS) hat das erkannt und einen Workshop mit dem Titel «Männlichkeit, wer ist das?» für Jugendliche entwickelt. Am Ende des Anlasses überreichte Catherine Schuppli dem Verband eine Spende in der Höhe von 10‘800 Franken. Die Spende resultierte aus den Ticketverkäufen für den Anlass.